Die ewig Gestrigen

Die Sozialen Netzwerke sind ein Sammelbecken von Ideen, Gedanken und auch Traditionen. Hier werden die verschiedensten Interessen und Zielgruppen bedient. Oft steht der Austausch unter Gleichgesinnten im Vordergrund. Hier man gute Chancen alte Weggefährten wiederzufinden, zu denen man den Kontakt verloren hatte.

So kam es, dass ich mich als Veteran der NVA bei der gleichlautenden geschlossenen Gruppe auf einer bekannten Plattform angemeldet habe. Meine Hoffnung war, ehemalige Mitstreiter zu finden. Zu jener Zeit gab es noch keinen Zwang Einheit, Vorgesetzten oder sonstige Details zum Dienst preisgeben zu müssen.

Im Februar 2018 hatte die Gruppe ungefähr 2700 Mitglieder, die auf der Plattform einsehbar sind. Die Kommunikation war geprägt vom gegenseitigen Grüßen, besonders zu den bekannten Feiertagen der NVA und der DDR, kurzen Diskussion über Ausrüstung oder Technik der damaligen Zeit. Auch die Freundschaft zum heutigen Russland hatte keinen geringen Stellenwert, wie auch das Gedenken der Opfer des Großen Vaterländischen Krieges. Andere Themen, kritische Fragen oder gar abweichende Antworten wurden sofort unterbunden.

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Die Beiträge der Mitglieder werden nicht automatisch in der geschlossenen Gruppe veröffentlicht, sondern erst von den kritischen Augen der Funktionäre geprüft. Irgendwie fühlt man sich in die gute alte Zeit zurückversetzt.

Und wer sich nicht einschüchtern lässt, wird der Gruppe verwiesen. So ist es auch mir ergangen. Aber schauen wir uns ein Beispiel vom Februar 2018 an. Man sieht auch sehr gut, woran das sozialistische System zerbrochen ist. Diese Gruppe ist irgendwo ein Modell dieser längst vergangenen Zeiten.

Wer sind diese Veteranen?

Die letzten Rekruten wurden im Frühjahr 1990 zum Wehrdienst in der NVA eingezogen. Seit dem sind fast 30 Jahre vergangen. Viele stehen mit beiden Beinen im Berufsleben oder genießen bereits den wohlverdienten Ruhestand. Nicht Wenige haben mit den politischen und wirtschaftlichen Veränderungen, die die Wiedervereinigung mit sich brachte, alles verloren. Vor allem ihr Ansehen, ihre Bedeutung, ihre Stellung in der Gesellschaft. Das geliebte Parteibuch öffnet keine Türen mehr.

Die NVA ist Geschichte, genau wie ihre Traditionen und Gebräuche. Ihre Uniformen und Teile der Ausrüstung werden auf verschiedenen Internetplattformen angeboten. Die Technik kann man in Museen bewundern, oder auf diversen Abenteuerspielplätzen für Erwachsene bestaunen.

Wer mag, kann sich einen schon etwas älteren Bericht über das Geheime NVA-Camp in der Nähe von Berlin ansehen.

Unsere damaligen Waffenbrüder und sozialistischen Bruderstaaten sind heute Mitglieder verschiedener europäischer Organisationen, bis hin zur NATO. Die Brücken in die Vergangenheit wurden auf vielen Ebenen abgebrochen.

Die Sowjetunion ist Anfang der 1990-iger Jahre zerfallen. Aus den ehemaligen Sowjetrepubliken sind souveräne Nationalstaaten hervorgegangen. Das heutige Russland wurde erst im Dezember 1991 in den Grenzen der damaligen RSFSR gegründet.

Ein aktueller Beitrag polarisiert

Anfang Februar veröffentlichte Irina Schlegel auf InformNapalm eine sehr informative Zusammenfassung aktuellen Ereignissen in Syrien. Die Autoren beschreiben eine militärische Auseinandersetzung zwischen verdeckt operierenden russischen Kräften und amerikanischen Einheiten. Die russischen Truppen, jene die nach eigenen Angaben nicht da sind, haben dabei erhebliche Verluste an Mensch und Material erlitten.

Der Artikel von InformNapalm

Was hat das mit dem Thema der Gruppe, der Nationalen Volksarmee der DDR zu tun? Dazu muss man sich vor Augen führen, dass sich die in Syrien eingesetzte russische Technik nicht grundlegend von der Ausrüstung der NVA unterscheidet. Strategie, Taktik und Einsatzprinzipien haben sich vermutlich in den vergangenen Jahrzehnten kaum verändert. Auf amerikanischer Seite haben wir ähnliche Waffensysteme, wie zu Zeiten des Kalten Krieges. Wenn ich mir das vor Augen führe, stelle ich mir zwangsläufig die Frage, wie eine Auseinandersetzung zwischen den beiden Bündnissen ausgegangen wäre. Ich kann mir kaum vorstellen, dass dies der damaligen militärischen und politischen Führung nicht bekannt war.

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Und den Artikel mit diesen Thesen und Überlegungen habe ich nun in der Gruppe der hochdekorierten NVA Veteranen veröffentlicht. Er wurde ohne Zensur freigegeben.

Mal völlig unabhängig von der politischen Konstellation, hat das kurze Scharmützel eindrucksvoll gezeigt, das die hochgelobte und glorreiche russische Armee gegenüber NATO-Kräften nicht bestehen kann.

Eine andere Wahrheit gibt es nicht – oder wie man damit umgeht

Die Reaktionen auf solcheinen kritischen Artikel, der das Wirken des große Bruders hinterfragt, lies nicht lange auf sich warten. Schauen wir uns einmal einige Autoren und ihre Kommentare genauer an. Sie stellen nur einen kleinen Teil der lebhaften Diskussion dar.

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Bevor weiteren Details zuwenden, sehen wir uns einen Teil der Gruppenrichtlinie genauer an. Diese stehen auf der Social Media Plattform zur Verfügung. Hier findet sich folgende Passage:

… sondern eine Seite wo man sich ehrlich und ungeschönt mit der NVA auseinandersetzt, die positiven, aber auch die negativen Seiten anschaut hinterfragt und diskutiert!
(aus den Gruppenrichtlinien)

In meinen Augen ist die Aufgabe eines Administrators, die Gruppenregeln zu überwachen und auf einen normalen Umgang unter den Mitgliedern zu achten. Das ist umso wichtiger, da es sich um eine geschlossene Gruppe handelt. Das ein Administrator sich am Gruppenleben beteiligt ist dabei völlig normal. Die Vorstellungen scheinen hier weit auseinanderzugehen, zwischen diesen »NVA-Veteranen« und dem Rest der Welt.

An den kurzen Ausschnitten sieht man, wie man mit anderen Meinungen und Einstellungen umgeht – Jahrzehnte, nachdem viele die Uniform ausgezogen haben. Ein zweiter Aspekt ist die verwendete Rhetorik.

Der Funktionär – Meine Meinung ist Gesetz

Wenn man sich die Beiträge mal genauer verfolgt, sieht man deutlich, dass es vorrangig um Ausgrenzung und Einschüchterung geht. Getreu dem Motto: Entweder Du spurst oder Du bist draußen.

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Die aggressive Rhetorik einiger weiniger Personen reicht dabei völlig aus, die Meinung in der Gruppe zu kontrollieren. Eigentlich ganz einfache Mittel. Wenn man sie auslacht, und ignoriert, bleibt Ihnen nur noch eine Möglichkeit.

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Diese Rhetorik funktionierte auch damals in der DDR und in anderen Staaten ausgezeichnet – zur Einschüchterung der Bevölkerung. Darauf basierte die Macht der staatstragenden Organe. Die Funktionäre waren schon immer die „Nützlichen Idioten“ in diesem Spiel. Die Betroffenen vermochten sich zur damaligen Zeit den Maßnahmen nicht entziehen, ohne Nachteile für sich oder ihre Angehörigen befürchten zu müssen.

Wer das akzeptiert und die Anderen mit Respekt behandelt ist willkommen, alle Anderen lernen, wie der Schleudersitz funktioniert!
(aus den Gruppenrichtlinien)

Der Provokateur

Ein älterer Herr, der scheinbar ebenfalls länger in derselben Waffengattung gedient hat. Wir hatten uns schon einige Male unterhalten, ohne das er Näheres über mich in Erfahrung bringen konnte. Hinweise hatte er ausreichend. Fragetechniken und Auftreten schienen mir auf das Abschöpfen von Informationen ausgerichtet zu sein.

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Unsere Truppenteile waren überschaubar. Die einzelnen Akteure kannten sich untereinander. Die Ausbildung fand nur an ein paar Orten statt. Mit wenigen Stichworten ist es problemlos möglich, die Mitglieder zuzuordnen. Warum ist es ihm nicht gelungen? Welche Rolle spielt er in der Gruppe?

Der Schläger

Hier ein netter Beitrag eines Zeitgenossen, der mir nie vorher aufgefallen ist. Er hat sich mit der Thematik nicht auseinandergesetzt oder an der Diskussion beteiligt.

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In diesem Beitrag fordert der Schreiber unverblümt zur Lynchjustiz auf. Ohne erkennbaren Grund erhebt er die Hand gegen andere (im übertragenen Sinne). Er nutzt dazu eine Form, die ihres Gleichen sucht. Selbst in kontroversen Diskussionen habe ich diesen Umgang nicht erlebt.

Auf mich wirkt der Autor des Beitrages wie ein Schläger, der geschickt wurde, mich einzuschüchtern, mich mundtot zu machen.

An der Seite des Waffenbruders

Nach den vergangenen Wochen und Monaten, einigen Beiträgen und reichlich Feedback möchte ich eine These wagen, welche Ziele die Gruppe verfolgt.

Schon kurz nach der Anmeldung erhielt ich Freundschaftsanfragen von fremden Leuten, die auf nichtöffentliche Teile meines Profils und Freundeslisten zugreifen wollten.

… auch Mitglieder der Abteilung 2000, des MfS sind gerne gesehen.
( aus den Gruppenrichtlinien)

In einigen Diskussionen war immer eine gewisse Unsicherheit zu spüren. Man hat offensichtlich Angst, von „potenziellen Gegnern“ ausspioniert zu werden. Hier muss man sich die Fragen stellen, warum man die Inhalte vor anderen verbergen will. Aus technischer Sicht ist diese Haltung völlig naiv. Eine geschlossene Gruppe ist nur für die normalen Anwender geschlossen. Systemadministratoren und Behörden haben hier andere Möglichkeiten. Jeder, der schon einmal etwas Software entwickelt hat, weis das.

Es ist nicht zu übersehen, dass man versucht, die Gruppe »sauber« zu halten. Andere Meinungen, schon der kleinste Widerspruch wird konsequent unterbunden. Diskussion, die vom »Thema« abweichen, sind unerwünscht.

Werden die Gruppenaufnahmefragen nicht beantwortet- wird die Anfrage auf Eintritt gelöscht. Stellt Euch bitte vor- wir möchten gern wissen, mit wem wir es zu tun haben.
(aus den Gruppenrichtlinien)

Das Abklopfen der militärischen Zugehörigkeiten und Erfahrungen muss man als systematisch ansehen. Schon das Abfragen von Einheit und Dienstzeit deutet auf bewusstes Sammeln von Daten hin. In Diskussionen werden diese Angaben immer wieder hinterfragt. Will man hier Leute ausfindig machen, die in sensiblen Bereichen eingesetzt waren?

Die »Liebe« zum heutigen Russland ist als eines der zentralen Elemente nicht zu übersehen. Vordergründig geht es hierbei um die ehemalige Waffenbrüderschaft zu den sowjetischen Streitkräften. Durch die langjährige Zusammenarbeit waren persönliche Beziehungen entstanden, die bis in die heutige Zeit reichen. Die militärische Führung in den höheren Ebenen geschah grundsätzlich durch russische Stellen! Und je höher die Person in der Hierarchie stand, desto enger und intensiver waren die Beziehungen.

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An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass man von westlicher Seite konsequent gegen die staatlichen Strukturen der DDR, gegen Partei und STASI vorgegangen ist. Zum selben Zeitpunkt hat man aber die russischen Führungsstrukturen der STASI-Organisation hofiert! Man nannte das damals die »Partnerschaft für den Frieden«. In meinen Augen eine Entscheidung, die uns heute zum Verhängnis wird. Der Fall LISA und die direkte Einmischung Russlands in die inneren Angelegenheiten der Bundesrepublik sind nur wenige Punkte.

Wenn ich all diese Faktoren zusammen betrachte, komme ich zu dem Schluss, dass man unter dem Deckmantel einer gemeinsamen Vergangenheit versucht, Gleichgesinnte zu versammeln und zu organisieren. Natürlich sind auch die ehemaligen Waffenbrüder aus dem Osten in dieser Gruppe unterwegs.

Zusammenfassung

Die Zeit in dieser „Veteranen“-Gruppe war für mich sehr aufschlussreich. Ich habe vieles sehen und gelernt. Meinem eigentlichen Ziel, alte Freunde wieder zu finden, bin ich dabei nicht näher gekommen. Gefunden habe ich den real existierenden Sozialismus.

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Dieser Artikel bestätigt womöglich den einen oder den anderen in seiner Meinung über die bewaffneten Organe oder die DDR. Denjenigen sei gesagt, dass die aktiven Personen auch in der beschriebenen Gruppe zahlenmäßig in der Unterzahl waren. Aufgrund ihrer Stellung sind sie aber in der Lage die Meinung und die Diskussion steuern. Im Leben des real existierenden Sozialismus war die Situation vergleichbar.

Beim Vergleichen der Gruppenrichtlinien mit dem virtuellen Leben sieht man sehr schnell, das hier die DDR wieder aufgelebt ist.

Aus meiner Perspektive ist es ein kleines Häufchen, die die Traditionen einer Armee für ihre Zwecke missbrauchen, der sie einmal angehört haben. Man braucht nicht viel Fantasie um sich vorzustellen, das ehemalige Freunde oder Vorgesetzte diese Konstellation für ihre Zwecke ausnutzen. Besonders, wenn sie selber im militärischen Revanchismus gefangen sind. Wir haben es in den vergangenen Wochen und Monaten erlebt, wie Regierungen die Geschicke souveräner Staaten versuchen, zu ihren Gunsten zu verändern.

An anderer Stelle entsteht wohl auch ein Artikel zu dem Thema.