Die Krim ohne Tataren: Wie Russland die Bevölkerung der Halbinsel austauscht

Eine Übersetzung des Artikels aus dem Russischen auf sprotyv.info.

Die Gruppe „Informeller Widerstand“ hat oft auf zahlreiche Ereignisse hingewiesen, die eindeutig zeigen, das Russland die Krim in eine riesige Militärbasis, einen militärischen Brücken Kopf im Schwarzen Meer, ausbaut (der langen Tradition des „unsinkbaren Flugzeugträgers“ folgend).

Vor diesem Hintergrund unterscheidet man in Moskau drei Kategorien von Einwohnern:

  • Personal der Militärbasen;
  •  externe Mitarbeiter, die für den Betrieb der Militärbasen notwendig sind;
  •  das „menschliche Schutzschild“, welches zum Verbergen der Aggression dient, sowie zur „Humanitären Manipulation“ auf der internationalen Bühne.

Alle anderen Personen, die in der Wirtschaft / allen anderen Formen von Geschäften, lebensnotwendig für die Halbinsel, sind aus Sicht des Kreml unnötiger Ballast. Aber bis es so weit ist, kann man den Ballast für seine Zwecke ausnutzen.Es ist offensichtlich, dass die für Russland „nützliche“ Bevölkerung weitaus geringer ist, als die Anzahl der Menschen, die zur Zeit auf der Krim leben.

Unglücklicherweise für die Betroffenen betrachtet der Kreml sie als unzuverlässige Elemente, die anfällig sind für Verrat. Das Beste daran ist, dass es auch jene spürten bekommen, die ihren Eid gebrochen haben, also Staatsdiener, Ordnungshüter, ja selbst Beamte. Und das trotz ihrer Verdienste bei der Diskreditierung des ukrainischen Staates bis 2014 und Mitwirkung bei der Besetzung.

Nicht ganz zufällig hat Russland seit Beginn der Annexion seine Strategie darauf ausgerichtet, das demografische Bild der besetzten Hablinsel zu verändern. Die russischen Machthaber wollen folgerichtig die Bevölkerung der Krim austauschen und die Anzahl der loyalen Bürger erhöhen, die nichts mit der Ukraine zu tun haben.

Was dann passiert ist offensichtlich. Sobald ausreichend dem Kreml ergebene Personen aus Russland eingewandert sind, damit die Krim effektiv ihre Aufgaben erfüllen kann, wird man Maßnahmen zur Beseitigung der überflüssigen Bewohner ergreifen. Noch dazu, wenn diese loyal sind. Auch die Vorstellung, nur als lebender Schutzschild auf der subventionierten Halbinsel zu dienen, wird niemanden abhalten.

Das ist nicht ganz ohne Hintergrund, dazu gibt es Zahlen der offiziellen russischen Statistik, die selbst Beamte unterschiedlicher Ebenen bestätigen, und auch jüngste russische Erfahrung. Nur die einfachen Bewohner der Krim und Sewastopols wollen darüber nicht nachdenken.

Wieviele Russen sind schon auf die Krim gezogen?

Nach Angaben des ukrainischen Statistik-Amtes vom 1. Januar 2014  lebten in der Autonomen Republik Krim 1 Million und 967,2 Tausend Personen, in Sewastopol waren es 385,9 Tausend, so das zu diesem Zeitpunkt insgesamt 2 Millionen 353,1 Tausend Personen auf der Halbinsel lebten.

Seit der letzten Erhebung des ukrainischen Statistik-Amtes stammen am 1. April 2014 konnten keine grundlegenden Veränderungen beobachtet werden. Im Mai hat das ukrainische Statistik-Amt aufgehört offizielle Zahlen zu veröffentlichen und geb die offizielle Einwohnerzahl der Krim und Sewastopol mit 2 Millionen 354,1 Tausend Personen an.Um die Anzahl der Einwohner auf der Krim und in Sewastopol genau zu bestimmen, führte die Besatzungsmacht im Oktober 2014 eine Volkszählung durch. In Übereinstimmung mit der „Volkszählung“ lebten Mitte Oktober 2014 auf der besetzten Halbinsel 2 Millionen 284,8 Tausend Personen: auf Krim selber 1 Million 891,5 Tausend Menschen (also 76 Tausend weniger, als nach den letzten offiziellen Zahlen des ukrainischen Statistik-Amtes) und in Sewastopol 393,3 Tausend Menschen (7 Tausend mehr als nach offiziellen ukrainischen statistischen Angaben).

Der „Rückgang“ der Bevölkerung auf der Halbinsel um 70 Tausend Personen wird allgemein mit der Massen-Abwanderung auf das ukrainische Festland begründet, die die Zuwanderung aus Russland übersteigt. Genau in dieser Zeit die Ansiedlung russischer Kader auf der Krim. Das heißt, unter Berücksichtigung des Zuflusses sind sogar 100 Tausend Einwohner der Krim auf das Festland gezogen.

Aus unser Sicht hat diese Umsiedlung aber nicht in dem Umfang stattgefunden. Die „Volkszählung“ hat lediglich den Fakt bestätigt, dass auf der Krim weniger Menschen lebten, die zwar dort gemeldet waren, aber schon vor den Ereignissen des Jahres 2014 in anderen Regionen der Ukraine, Russlands oder Europas lebten.

Die offizielle Dynamik in der Bevölkerung während der BesatzungszeitNach Angaben des russischen Statistik-Amtes lebten am 1. Januar 2018 auf der Halbinsel 2 Millionen 346,4 Tausend Menschen, davon 1 Million 913,7 Tausend in der „Republik Krim“ und in Sewastopol 432,7 Personen. Demnach ist in den vergangenen 3,5 Jahren nach der Volkszählung die Bevölkerung Krim nach offiziellen russischen Daten um 61,6 Tausend Personen (2,7% der Bevölkerung) gestiegen ist.  Die Bevölkerung ist demnach um 10% gestiegen, in Bezug auf die letzte ukrainische Statistik um 12%.Bis zum heutigen Tag hat sich die diese Zahl formal praktisch nicht geändert. In den ersten drei Monaten des Jahres 2018 betrug der natürliche Bevölkerungsrückgang auf der Krim 2133 Personen, zugewandert sind nur 440 Personen (im vergangenen Jahr waren es 2997, also fast sieben mal mehr). In Sewastopol sind in diesem Zeitraum 311 Personen gestorben und 1737 zugewandert (das entspricht ungefähr dem Niveau des Vorjahres, als mit 1926 Personen mehr angekommen sind). Formal betrachtet bedeutet dies, dass die Bevölkerung der Krim im ersten Quartal des Jahres 2018 um 267 Personen zurückgegangen ist, das eine Stagnation zu verzeichnen ist.

Das ist eine unumstößliche Tatsache. Die offizielle russische Statistik signalisiert, dass das Interesse der russischen Bevölkerung an der Krim zurück geht. Die Anzahl der Zuwanderer geht zurück. Die kürzliche Eröffnung der Brücke von Kertsch kann die Situation etwas verändern, die russischen Behörden haben jedoch aufgehört, über den Zustrom der Menschen zu berichten.

Die reale Situation weicht etwas von den offiziellen Zahlen ab. Die Bevölkerung von Sewastopol umfasst schätzungsweise nicht 430 Tausend, sondern ungefähr 600 Tausend Personen.  Auf die Krim kommen „auf Dienstreise“ verschiedenste Staatsdiener und Beamte, welche in der Statistik nur teilweise erfasst werden.

Das unterstreicht zum Beispiel die Statistik der Schüler. Im Jahr 2017 ist die Anzahl der Besucher einer mittleren Schule im Vergleich zu 2014 in Sewastopol um 8 Tausend Personen gestiegen, von 34 Tausend auf 42 Tausend Personen. In der gleichen Zeit, als sich die Beamten über die Schulen beklagten, tauschten 2016 plötzlich 800 Erstklässler mehr auf.  Unerwartet, weil sie amtlich nicht gemeldet waren.  Das heißt, das 800 neu angekommenen Familien von der Statistik nicht „erfasst“ wurden.Außerdem gibt es eine Reihe von Inkonsistenzen in den offiziellen Daten.In Übereinstimmung mit den Daten des russischen Statistik-Amtes, betrug im ersten Quartal 2018 der migrationsbedingte Anstieg in der „Republik Krim“ ungefähr 52,5 Tausend Personen, in Sewastopol waren es fast 55 Tausend Personen. Die Grafik zeigt, wie sich die Dynamik im Vergleich zum Jahr 2013 geändert hat.

Bevölkerungsentwicklung auf der Krim (sprotyv.info)

Im selben Zeitraum überstieg die Sterblichkeitsrate die Geburtenrate über 24,2 Tausend Personen in der „Republik Krim“. Dementsprechend ist die Bevölkerung der Krim um 28,3 Tausend Personen gestiegen. In Sewastopol ging die Bevölkerung um 2926 Personen zurück. Die Bevölkerung müsste normalerweise um 52 Tausend Personen ansteigen. Das wären insgesamt über 80 Tausend auf der Halbinsel. Das sind 20 Tausend mehr, als das russische Statistik-Amt für diese Region angibt. Das bedeutet, wir haben 20 Tausend „ungeklärte“ Bevölkerung.

Eine Viertel-Millionen Neubürger auf der Krim

Aber das interessanteste ist noch etwas anderes. Die offiziellen Zahlen des russischen Statistik-Amtes zeigen, das in 4,5 Jahren 247,5 Tausend Personen auf die besetzte Krim „migriert“ sind. In diesem Zeitraum sind über 140 Tausend „Migranten“ von der Insel gezogen. Um die Migration bereinigt, ist die Bevölkerung um mehr als 107 Tausend Personen neuer Menschen angewachsen.Es ist offensichtlich, dass die Neubürger blieben und im Wesentlichen Personen aus den verschiedensten Gründen die Krim verlassen haben, die schon vor der Besetzung dort lebten. Sogar die offiziellen russischen Statistiken zeigen deutlich, dass im während der Annexion die Bevölkerung der Krim durch neue Elemente zu mindestens 10% »ersetzt« wurde.

In dieser Zeit vollzog sich parallel der natürliche Austausch der Bevölkerung. Während der Besatzungszeit starben fast 146 Tausend Personen und es wurden über 112 Tausend Kinder geboren. Diese Kinder werden in der Realität der russischen Besatzung aufwachsen. Einige der Kinder hatten Glück, das sie das Licht in einer normalen Familie erblickten, wo die Eltern ihnen die Besonderheiten der Situation erklären werden. Viele von ihnen werden die „russische Welt“ mit all ihren Verzerrungen aufsaugen, ohne zu wissen, wie weltfremd diese ist.

Das bedeutet, dass sogar die offizielle russischen Daten zeigen, das Bevölkerung der Krim in den Jahren der Besatzung ausgetauscht wurde, in der Größenordnung von 17%. Wenn man berücksichtigt, dass in der Statistik nicht alle erfasst sind, beträgt der Austausch mindestens 20 – 25 %.

Es ist faktisch so , dass die Krim schon zu einem Viertel eine andere ist, wenn man es aus Sicht der Bevölkerung sieht. Die Besonderheit beseht darin, dass es ein für Russland völlig akzeptables Szenario ist. Es wurde vor nicht allzulanger Zeit in der Russischen Federation selber umgesetzt.

„Die tschetschenische Erfahrung“ auf der Krim

Erinnern wir uns an das Hauptergebnis der beiden „Tschetschenienkriege“, in den der Kreml eine bittere Niederlage erlitten hat und heute jährlich mehrere Milliarden Rubel aus dem Staatshaushalt zahlen muss. Nachdem Moskau Ramsan Kadyrow und seinem Klan Tschetschenien als seinen persönlichen Besitz überließ, wurden bis zu 90 Prozent der slawischen Bevölkerung, vor allem ethnische Russen, sowie Christen anderer Nationalitäten aus der Tschetschenischen Republik vertrieben.

Entsprechend der statistischen Daten lebten 1989 in Tschetschenien 269 Tausend Russen (24,8% der Bevölkerung). Und im Jahr 2010 waren es noch 24,4 Tausend (1,9%).  Ein Jahr später, 2011 nannte Oleg Petruchow, der stellvertretende Minister der Tschetschenischen Republik für nationale Fragen, Zahlen von „etwas mehr wie 10 Tausend Personen“.

Im Jahr 1989 lebten fast 12 Tausend Ukrainer in Tschetschenien, 2010 waren es noch etwas mehr als 400. Es sind auch fast alle Armenier ausgewandert: 1989 waren es 14,6 Tausend, verblieben sind etwas mehr als 500.

Wenn Putin die Entfernung von Russen aus Tschetschenien zuließ, die ein Gegengewicht zu Kadyrows absoluter Macht (und seinen Interessen) bilden könnten, was würde ihn daran hindern, genau diese Russen von der Krim zu entfernen, die seinen persönlichen Interessen nicht entsprechen?Absolut Nichts! Und die Fakten bestätigen dies bereits.

Schlussfolgerungen

Das Modell wird sehr einfach sein. Natürlich wird niemand offensichtliche Abschiebungen tolerieren, ohne Vorwürfe zu erheben. Es werden einfach unerträgliche Bedingungen geschaffen. Zu den Zahlen der Abwanderung von Bewohnern (damit es überhaupt bemerkt wird) werden schrittweise auch jene „zugerechnet“, die nach 2014 übergesiedelt sind und praktisch auf der Krim leben, aber in keinen Listen auftauchen.

Was für die „Risikogruppe“ für die Vertreibung charakteristisch ist, dass zuerst Einheimische betroffen sind, die Okkupanten und ihre Helfer identifizieren können. Daher sind sie lebende Zeugen, die die heutigen Machthaber gerne austauschen möchten. Und Putin benötigt nur jene, die nur eine einzige Macht akzeptieren, ihn selber.

Politiker, Funktionäre auf der Krim, Verräter aus den Reihen der Staatsdiener und Sicherheitskräfte, sowie verschiedene „Aktivisten“ des Jahres 2014 sollten langsam anfangen darüber nachzudenken, wo sie hingehen sollen? Es ist möglich, dass man in Russland schon Reserve-Flughäfen eingerichtet hat. In irgend einer Region von Mordowien oder Pensa.

Um die Beziehungen zur Ukraine wieder herzustellen, ist es gegebenenfalls notwendig, aktiv Reue zu zeigen.

„Informeller Widerstand“ – Krim

Quellen